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"Menschliche Imaginationskapazitäten" |
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11.04.05 - 16:32:00 |
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spectralanalysis series, 1 • Michael Wagner |
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Die Erfinder der bilderzeugenden Apparate hatten die Absicht die Imagination vom Menschen auf Maschinen abzuwälzen und sie verfolgten dabei zwei Ziele: Erstens wollten sie eine wirksamere Imagination erreichen und zweitens wollten sie den Menschen zu einer anderen und neueren Einbildungskraft hinführen. Beide Ziele sieht Flusser nicht nur erreicht, sondern gar übertroffen: Flusser weist darauf hin, dass nicht alle menschlichen Imaginationskapazitäten durch Apparate ersetzbar sind. Das was unersetzbar ist, werden seiner Ansicht nach die apparatlos hergestellten Bilder aufzeigen. Anschaulich zu machen, was an der menschlichen Imagination einzigartig bzw. unersetzlich und nicht simulierbar ist, darin sieht er die gewaltige Aufgabe dieser transapparatischen Bilder wie er sie auch nennt. Zu den wenigen Menschen, die bemüht sind die apparatischen Kompetenzen völlig auszubeuten, um die Grenzen des Apparatischen herauszufinden, aufzuzeigen und darüber hinauszugehen, zählt Flusser die apparatlosen »Bildermacher«. Ihre Bilder tragen Bedeutung, sie enthalten ein Zeigen, eine Stellungnahme, eine Einstellung, einen Sinn, ein Projekt. Ihre Intention ist die Darstellung, deren Kriterium ein projektiver Sinngehalt ist. Die technischen Bilder, diese »kalkulierten und komputierten Mosaiken« bedeuten für Flusser letztendlich Modelle, »welche einer zerfallenden Welt und einem zerfallenden Bewußtsein Form verleihen, sie informieren sollen. Daher ist bei ihnen der Bedeutungsvektor im Vergleich zu den vorangegangen Bildern umgekehrt worden: Sie empfangen ihre Bedeutung nicht von außen, sondern sie projizieren sie nach außen. Sie geben dem Absurden Sinn.« Jede soziale Lebensform bildet ein für sie charakteristisches Thema aus: Das Thema der Industriegesellschaft war das Glück, das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl. Das große Thema der postindustriellen Gesellschaft wird der Sinn, der Lebenssinn und seine Geltung sein. Denn der Mensch ist ein Sinn produzierendes Wesen. Er lebt am Horizont »der« Welt und bringt in ihr eine Darstellung der Welt hervor, eine welterschließende, sinnhafte Darstellung. Die alte Erkenntnistheorie ging, wie gesagt, davon aus, dass der Mensch eine Vorstellung von der Welt hervorbringt. Da fehlte aber ganz die Praxis; die Einheit von Theorie und Praxis ist nicht Vorstellung, sondern vielmehr Darstellung. Die Geworfenheit ins menschliche Dasein bedeutet zweifellos Endlichkeit, sogar den Realitätsverlust durch den Tod. Denn der Sinn ist nicht eine Gegebenheit, er ist Sehnsucht, eine Gerichtetheit, Intentionalität. Das Thema des endlichen Daseins als solchen ist die Unendlichkeit des Logos, die Transzendenz. In der Innenansicht des Primitiven ist alles Sinn; von außen sieht man diesen Sinn nicht. Von außen sieht man nur den dargestellten, d.h. aufgespeicherten bzw. objektivierten Sinn. Das Problem ist, »Gegebenheitsweisen« aufzubewahren. - »Im Gedanken ist eine Gegebenheitsweise seines Wahrheitswertes enthalten. Gegebenheitsweisen hängen in natürlicher, nicht in willkürlicher Weise mit dem durch sie gegebenen Gegenstand zusammen. Ein Gedanke bezieht sich in natürlicher Weise auf seinen Wahrheitswert.« (Gottlieb Frege: Über Sinn und Bedeutung. In: Funktion, Begriff, Bedeutung, Hg.: Gunther Patzig; 4. Aufl. Göttingen 1987, Kleine Vandenhoeck-Reihe 1144. S. 40-65.) - Wenn der Sinn nicht transportierbar ist, ist er auch nicht aufzubewahren. Hier kommt die Rolle der Information ins Spiel: Information ist die Vielfalt einer Menge. Paramenides erkannte in der Vielfalt den Schein, das wahre Sein im überall Gleichen, im Vielfaltlosen. Sinn ist indes auch nicht die Wiederkehr des Gleichen. Sinn ist die Herstellung der Gegebenheitsweise, ist gleich Darstellung. Gegebenheitsweise meint die Form, in der etwas gegeben ist. Die Transzendenz des Inhalts ist die Form. Sinn ist deshalb Form, nicht Information. Der Computer ist die Universalisierung der Darstellung bzw. der Sinnebene. Er ebnet alle Vielfalt ein, jedoch so, dass sich die vielfältigen Sinne begegnen können im Tableau der Information. Erst die Transformationen bergen den Sinn, nicht schon die Informationen. Seit der Entwicklung der modernen Computertechnologie gibt es nicht mehr bloß einen Welthorizont, sondern auch einen Darstellungshorizont. Die Darstellung war, wegen der unterschiedlichen Materialität ihrer Speicherung in sich stückhaft, vielfältig, ein Nebeneinander. Das Tableau ist jetzt die Information. Dabei gehen die erwünschten Vielfalten gar nicht verloren, sie werden lediglich ineinander transformierbar bzw. übersetzbar, abbildbar. Sinngrenzen, gleichsam die Tabus der Speichermedien, werden aufgehoben, ein Sinnganzes prinzipiell möglich. Der Sinn wird von seiner Zerfallenheit erlöst. Die Pluralität der Sinnbezirke, der symbolischen Formen, wird aufgehoben, d.h. auf eine höhere, gemeinsame Ebene gehoben, nicht beseitigt. Wir leben zwar im »Zeitalter der Sinnzersplitterung«, aber wir haben noch nicht begriffen, daß die Uniformität der Information die absolute Basis zur Vergleichbarkeit von Sinn ist. Michael Wagner, 2003. Alle Zitate von Vilém Flusser aus: Bilderstatus: Erstveröffentlichung in: Metropolis. Internationale Kunstausstellung Berlin 1991, Hg.: Ch. Joachimides und N. Rosenthal, Stuttgart 1991; wieder in: Vilém Flusser, Lob der Oberflächlichkeit, Schriften Bd. 1, 2. Aufl. Mannheim 1995; und in: Der Flusser Reader zu Kommunikation, Medien und Design. Vilém Flusser, Die Revolution der Bilder, Mannheim 1995. |
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