Wir hüten ein riesiges mentalistisches Vokabular, mit dem wir uns u.a.
bestimmte Fähigkeiten wie Kreativität, Vorstellungskraft, Problembewußtsein etc.
zuschreiben, und so ”erleben” wir uns als schöpferische Wesen, das in ”natürliche”
Abläufe bewußt und gewollt eingreift. Vor diesem Hintergrund ist der adverbiale
Gebrauch des Begriffs künstlich eben unproblematisch, Teil der Art und Weise
wie wir derzeit das Spiel des Lebens verstehen wollen.
Allerdings werden bereits seit einiger Zeit Proteine als Funktionselemente
von Schaltkreisen diskutiert, denn Biomoleküle als Rechnerbausteine ermöglichten
es grundsätzlich noch mehr Daten noch schneller auf noch engerem Raum zu
speichern; damit würden sie sich besonders für parallele Datenverarbeitung,
dreidimensionale Speichersysteme und für die Konstruktion neuronaler Netze
eignen, welche nach heutigem Stand Voraussetzungen für die Schaffung
künstlicher Intelligenz darstellen
(vergl. Birge, Spektrum der Wissenschaft, 11/95, S. 30 f.). Komplette Computer
aus Biomolekülen sind offenbar das Fernziel von Kognitionstechnikern. Würden wir
einem Computer aus Proteinen die Künstlichkeit absprechen?
Würden wir bestreiten, daß er etwas Künstliches sei? Wahrscheinlich nicht.
Die Tatsache, daß er aus gleichen Molekülen bestünde, wie sie beim Menschen
vorkommen, wäre für uns kein Anlaß, um von ”naturidentisch zu sprechen,
solange die Biomoleküle dem Aufbau einer bestimmten Architektur dienten
und wie beim konventionellen Halbleiter-Computer dazu benützt würden,
zwei verschiedene Zustände zu erzeugen, die die Ziffern 0 und 1 repräsentierten.
Schon beim Erkennen von Gegenständen erwiesen sich die digitalen Maschinen
trotz ständig wachsender Rechengeschwindigkeit und Speicherkapazität dem
visuellen System des Menschen als weit unterlegen, obwohl sich beispielsweise die
Signale in einem derartigen Computer etwa eine Million mal schneller ausbreiten
als im menschlichen Gehirn und die Taktfrequenz für den Zentralprozessor um
ähnliche Größenordnungen über jeder Frequenz liegt,die im Gehirn beobachtet
werden kann (vergl. Paul & Patricia Churchland in ”Gehirn und Bewußtsein”,
Spektrum, 1994, S.156). Offensichtlich hängen ”kognitive Fähigkeiten” nicht
unmittelbar mit solchen quantitativen Faktoren zusammen.
Es kann nun vorkommen, daß ein Mensch eine bestimmte Regel nicht ”versteht”,
und zwar derart, daß er - trotz wiederholter Erklärungen und Anleitungen -
überhaupt nicht weiß, was er tun soll. Niemand würde im Ernst behaupten, daß
dieser Mensch nicht richtig ”funktioniere”; denn nach welcher Fehlfunktion müßte
man da suchen? Es gibt keine Fehlfunktion oder eine Menge von Fehlfunktionen
des ”Nicht-Verstehens”. Bestenfalls gibt es Funktionen des ”Nicht-Verstehens”.
Marvin Minsky hat 1968 folgende Aussage gemacht (und eine solche Aussage ist
so unverhohlen nur möglich auf Grundlage des Glaubens an eine realistische
Semantik, an eine konventionalistische Abbildtheorie): „Damit Computer wirklich
gute Musik schreiben oder sehr ausdrucksstarke Bilder malen können, werden
natürlich auf diesen Gebieten bessere semantische Modelle erforderlich sein.
Daß es diese bislang nicht gibt, ist nicht so sehr ein Niederschlag der bestehenden
Möglichkeiten heuristischer Programme (für Computer) als des traditionell
miserablen Zustandes einer analytischen Kritik ...
(M. Minski in J. Weizenbaum , 1976, dtsch. 1978, S. 211)
Werner Hermann: "Sprachphilosophische Reflexionen zur Möglichkeit der Schaffung
künstlicher Intelligenz", Wien 2002.
http://sammelpunkt.philo.at
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