Für das Vermögen einer unmittelbaren "mneme"
(Muse des Gedächtnisses und der Erinnerung)
hat Plato die Metapher der Wachstafel eingeführt, in die sich die Wahrnehmungen
direkt, d.h. ohne Umwegüber Zeichen einschreiben. Diese Abdrücke können jedoch,
so Sokrates selbst, korrumpiert werden, wenn die Wachstafel"schmutzig ist und
nicht von reinem Wachs, oder auch zu feucht und zu hart", gar "undeutlich" und
die Einritzungen "aus Mangel an Raum übereinander gedrängt".
(Platon, Theaitetos Sämtliche Werke Band 3 Hamburg 1994)
Das heisst aber nichts anderes als,
"die Eindrücke doch als Zeichen zu lesen und die Wachstafel
als Medium ernst zu nehmen".
(Manfred Weinberg u.a., Medien des Gedächtnisses. Stuttgart 1998)
Der Versuch einer immer gewissen, weil reinen Erinnerung läuft schon bei Plato
Gefahr, sich ihrer nicht mehr selbst versichern zu können.
Was für die "Speicherung" gilt, dass sie nicht ohne ein ihr Ãußeres auskommt,
gilt entsprechend auch für die "Transmission".
Auch die Kommunikation ist von einem unlösbaren Dilemma geprägt:
der utopische Wunsch, die Grenzen des menschlichen Körpers zu überwinden
um eine geradezu spirituale Verbindung zu erlangen
(Peters:"the dream of spirit-to-spirit contact unimpaired by distance or
embodiment") wird immer schon heimgesucht von der Angst vor dem totalen
Abbruch und Versagen der Kommunikation, vor dem Aufreissen eines Abgrundes
zwischen den Menschen. Das Problem der Kommunikation bewegt sich Peters
zufolge immer zwischen der Utopie"engelsgleicher" Kommunion und dem Horror
des Solipsismus. "Priorität" bekam die Frage nach dem Gelingen von
Kommunikation ausgerechnet im Augenblick ihrer scheinbaren Erfüllung durch
technische Medien.
Der scheinbar uneingeschränkte Horizont, den die technischen Medien zu beginn
der Moderne eröffneten, machte Kommunikation über Distanz zum Paradigma
aller Verständigung. "Communication as a person-to-person activity became
thinkable only in the shadow of mediated communication"
(.John D. Peters, Speaking into the Air. A History of the Idea of Communication,
London 1999)
Darin liegt jedoch gerade die Gefahr.
"Only moderns could be facing each other and be worried about ,communicating´
as if they were thousand of miles apart."
So wird eines der vordringlichsten Probleme der Moderne die Frage nach dem
Gelingen von Kommunikation. Kommt die Postkarte an? Bei wem?
Wie kann ich sicher sein, mit wem ich am Telefon spreche?
Wie kann ich sicher sein,
dass mein Gegenüber michüberhaupt versteht, dass die Botschaft ankommt?
Und: wenn Medien noch die Stimmen von Toten speichern können, wie kann ich
sicher sein, dass ich mich nicht mit einem Gespenst unterhalte?
"Medien liefern immer schon Gespenstererscheinungen."
(Kittler, Film Grammophon Typewriter , Berlin 1986)
Die Kommunikation über räumliche wie zeitliche Distanz, die die Apparate helfen
herzustellen, beinhaltet ein nicht einlösbares Versprechen:
die Präsenz des Anderen, die ,reale´ empirische Anwesenheit von etwas oder
jemand, der nicht da ist. Die technischen Medien können zwar Verbindung
schaffen: eine ,leibhaftige´ Anwesenheit können sie jedoch nicht erreichen.
Sie sind Vermittler: trennend und zusammenfügend zugleich. Mit jedem "Zuwachs
an Welt" mithilfe der Medien geht unvermeidlich ein ,Weltverlust´ einher,
wie ein dünner Schleier, der sich über die Dinge legt. Zwar kann man ihre Gestalt,
Form, Farben, Töne erkennen, aber nicht mehr lokalisieren:
Von wo spricht die Stimme?
Wo findet die Begegnung eines Telefongesprächs statt?
Wo bin ich, wenn mein Körper im Kino sitzt?
Wer ist der Absender der mechanisch reproduzierten Zeichen?
Den medial vermittelten, übertragenen, gespeicherten Tönen fehlt gewissermassen
ein greifbares hic et nunc, das Hier-Sein, Präsenz und Fülle.
Dietmar Kammerer: Joyce ’Ulysses’ und die neuen technischen Medien
http://www.complit.fuberlin.de
/veranstaltungen/magisterarbeiten/pdf/joyce_dkammerer.pdf
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