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"Elektrobarde"
   
         
02.03.05 - 12:45:15
   
       
   
         
energia • Michael Wagner
   
       
   
             
          room    



... Die Dichter beriefen sogleich mehrere Protestversammlungen ein und verlangten, man möge die Maschine versiegeln und ihr von Amts wegen jede schöpferische Tätigkeit untersagen. Doch mit dieser Forderung fanden sie keinerlei Resonanz in der Öffentlichkeit. Die Zeitungsredaktionen waren äußerst zufrieden, denn Trurls Elektrobarde, der unter einigen tausend Pseudonymen zugleich schrieb, hielt für jede Gelegenheit ein Gedicht parat, selbstverständlich in der passenden Länge und von so hoher Qualität, daß eifrige Leser einander die druckfeuchten Zeitungen aus der Hand rissen. Auf der Straße sah man verzückte Gesichter und geistesabwesende Mienen, bisweilen waren auch leise Seufzer zu hören. Jedermann kannte die Gedichte des Elektrobarden, die Luft erzitterte unter seinen herrlichen Reimen; empfindsamere Naturen fielen nicht selten in Ohnmacht, wenn sie von besonders gelungenen Metaphern oder Assonanzen ins Herz getroffen wurden. Doch auch auf diese Eventualitäten war der Gigant der Inspiration vorbereitet, denn er produzierte auf der Stelle die notwendige Anzahl aufmunternder Sonette.
Trurl selbst hatte im Zusammenhang mit seiner Erfindung eine Menge Ärger. Die Traditionalisten, zumeist ältere Leute, waren recht harmlos, wenn man einmal von den regelmäßig die Fensterscheiben durchschlagenden Steinen sowie von gewissen, unaussprechlichen Substanzen absieht, mit denen sie die Wände seines Hauses zu beschmieren pflegten. Schlimmer war es mit den jüngeren Dichtern. Einer von ihnen, dessen Lyrik sich durch ebensolche Kraft auszeichnete wie sein Körper, ließ es sich nicht nehmen, Trurl jämmerlich zu verprügeln. Und während der Konstrukteur noch im Krankenhaus lag, nahmen die Ereignisse ihren Lauf. Kein Tag verging ohne einen Selbstmord oder eine Beerdigung. Vor den Toren des Krankenhauses patrouillierten bewaffnete Posten, und in der Ferne war Gewehrfeuer zu hören, anstelle von Manuskripten brachten die Dichter mehr und mehr Gewehre in ihren Koffern mit, um dem Elektrobarden den Garaus zu machen. Doch ihre Kugeln konnten seiner stählernen Natur nichts anhaben. Nach Rückkehr aus dem Krankenhaus - körperlich geschwächt und seelisch am Ende seiner Kraft - beschloß Trurl eines Nachts, den von ihm selbst geschaffenen homöostatischen Homer mit eigener Hand zu zerstören.
Doch als er sich immer noch leicht hinkend der Maschine näherte, da bemerkte sie die Drahtzange in seiner Hand sowie den grimmigen Glanz in seinen Augen und flehte in makellosen Versen so leidenschaftlich um Gnade, daß der Konstrukteur in Tränen ausbrach, das Mordwerkzeug fallen ließ und in sein Schlafzimmer zurücklief, wobei er durch die neuesten Werke des Elektrogenies waten mußte, durch einen Ozean von Papier, der die ganze Halle bis zur Hüfthöhe füllte und unablässig raschelte.
Als aber im nächsten Monat die Stromrechnung kam und Trurl sah, wieviel der Elektrogigant verbraucht hatte, wurde ihm schwarz vor Augen. Wie gern hätte er seinen alten Freund Klapauzius um Rat gefragt, doch der blieb verschwunden, als habe ihn der Erdboden verschluckt. So mußte sich Trurl selbst etwas einfallen lassen. In einer mondlosen Nacht schnitt er der Maschine die Stromzufuhr ab, nahm sie auseinander, verlud sie auf ein Raumschiff, flog zu einem winzigen Planetoiden, baute sie dort wieder zusammen und versah sie mit einem Atommeiler, um die Quelle ihrer schöpferischen Energie nicht versiegen zu lassen.
Dann kehrte er in aller Heimlichkeit nach Hause zurück, doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Der Elektrobarde, der Möglichkeit beraubt, seine Meisterwerke zu publizieren, begann sie nun auf allen Wellenlängen über den Äther auszustrahlen, wodurch er Besatzung und Passagiere vorbeifahrender Raumschiffe in lyrische Zustände völliger Apathie versetzte, während empfindsamere Naturen sogar von schweren Attacken ästhetischer Ekstase heimgesucht wurden. Nachdem es die Ursache dieser Störungen festgestellt hatte, richtete das Oberste Kosmische Flottenkommando eine offizielle Aufforderung an Trurl, die von ihm konstruierte Apparatur unverzüglich zu vernichten, da sie eine ernste Gefahr für Leben und Gesundheit aller Reisenden darstelle.
Trurl sah keinen Ausweg, er mußte sich verstecken. Daraufhin entsandte man ein Team von Technikern auf den Planetoiden mit dem Auftrag, die lyrische Datenausgabe des Elektropoeten zu plombieren. Doch der Barde betörte sie mit ein paar herrlichen Balladen, und die Mission schlug fehl. Man schickte taube Techniker, sie erlagen dem Zauber lyrischer Pantomime. Nun diskutierte man bereits öffentlich die Möglichkeit einer Strafexpedition, ja sogar die Bombardierung des Elektropoeten. Doch just zu diesem Zeitpunkt erschien ein Herrscher aus einem benachbarten Sternensystem, kaufte die Maschine und ließ sie mitsamt dem Planetoiden in sein Königreich transportieren.

Jetzt konnte sich Trurl wieder in der Öffentlichkeit sehen lassen und freier atmen. Es hatte zwar in letzter Zeit am fernen südlichen Horizont einige Explosionen von Supernovae gegeben, wie sie selbst die ältesten Roboter noch nicht erlebt hatten, und es gingen Gerüchte um, all dies stehe in einem Zusammenhang mit Lyrik. Nach unbestätigten Gerüchten hatte besagter Herrscher, getrieben von einer Laune, seinen Astroingenieuren befohlen, den Elektrobarden an eine Konstellation weißer Riesensterne anzuschließen, wodurch jede Strophe seiner Gedichte in gigantische Protuberanzen sämtlicher Sonnen verwandelt wurde; auf diese Weise war der größte Dichter des Universums in der Lage, seine unsterblichen Werke durch feurige Pulsationen in sämtliche Weiten des unendlichen Weltraums zugleich auszustrahlen. Mit einem Wort, er war zum lyrischen Motor einer Assoziation explodierender Riesensterne geworden. Selbst wenn an diesen Dingen ein Körnchen Wahrheit gewesen sein sollte, so geschahen sie doch in allzu großer Ferne, um Trurl den Schlaf zu rauben, der bei allem, was ihm jemals heilig gewesen war, schwor, niemals wieder ein kybernetisches Modell der Muse zu konstruieren.

Stanislaw Lem, "Kyberiade", Insel Verlag 1983


"Kunstcomputer"
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