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"Manipuliert, aber wahr" |
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26.03.05 - 13:40:01 |
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meadow land 1,2. • Michael Wagner |
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... Angesichts all der Tricks, die uns die Computertechnologie heute ermöglicht, ist die Illusionswirkung von gemalten Bildern längst verpufft. Möglicherweise staunen wir noch über naturalistische Ansichten im Stile der akribischen Wandbildern von Robert Zünd (1827-1909). Oder wir lassen uns von didaktischen Trompe l’oeil-Effekten irritieren, doch eigentlich betrügen kann uns die Malerei nicht mehr. Ungeachtet dessen, ob wir ein einzelnes Tableau zu verstehen glauben oder nicht, ist uns allezeit bewusst, dass Malerei von der Wirklichkeit abstrahiert, mit Farbe und Pinsel ein symbolisches Bild der Wirklichkeit herstellt. Auch da, wo dieses sich naturalistisch, naturgetreu gibt, erkennen wir die handwerkliche Arbeit, den kreativen Akt. Gemalte Bilder vermitteln einen Eindruck von der Welt, wie sie Kunstschaffende sinnlich wahrgenommen haben. Ihre Hand, die den Pinsel führt, schafft die Distanz, die signalisiert, dass wir es anschauungsweise mit Kunst und nicht mit einem Dokument zu tun haben. Unter ihrem Einfluss veränderte sich in diesen Jahren auch das gesellschaftliche Verhältnis zur Naturmalerei grundlegend. Mit seiner Auffassung, Kunst müsse die Natur exakt nachahmen, geriet der Maler Gustave Courbet (1819-77) tüchtig in die Kritik. Er betonte, dass sein Realismus auch die Darstellung der sozialen Wirklichkeit beinhalte. „Realist sein heisst, ein ehrlicher Freund der vollen Wahrheit zu sein“, was allerdings nicht bedeute, eine „Sache selbst zu setzen oder zu erschaffen“. Massgebend ist die persönliche Sichtweise. Damit sind die beiden Gegenpositionen bestimmt, die damals um die Krone der Naturtreue und optischen Illusion stritten: Naturalismus und Fotografie. „Vernichtet ist Raffael, Daguerre ist der Sieger!“, hiess es 1866 in einem Spottvers gegen Courbet. Aus der Perspektive des skeptischen Kulturkritikers hat der Philosoph Günther Anders (1902-92) in seinem Hauptwerk „Die Antiquiertheit des Menschen“ schon 1956 dieses naive Vertrauen ins fotografische Bild missbilligt. Ein solches lüge, wandte er ein, und zwar da, wo es am Rand das Abgebildete vom nicht abgebildeten Kontext trenne. Der Ausschnitt, die Unterlassung evoziere die Täuschung. Wegen der illusionistischen Wirkung von Foto-Aufnahmen müsse daher die Formel „Lügen wie gedruckt“ durch „Lügen wie abgebildet“ ersetzt werden. Dem ist nicht zu widersprechen. Tatsächlich sind Fotoaufnahmen stets einem Kontext entrissen und in einen neuen Kontext versetzt. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Bereits seit Descartes steht die Objektivität des Sehens in Zweifel. Ich sehe nur, was ich sehe, deshalb können verschiedene Sichtweisen ein und desselben Gegenstandes einander widersprechen. Doch das fotografische Angebot verfängt gleichwohl immer von neuem, weil es die Wirklichkeit auf eine vermeintlich objektive Sichtweise einfriert. Im Unterbewusstsein der Betrachtenden sind Objektiv und Objektivität zusammengehörige Begriffe. Es ist, was wir sehen. Was wir nicht sehen, glauben wir nicht, dies ist nicht. Die Täuschung durch Fotografien liegt demnach im Medium Fotografie respektive in unserer Wahrnehmung davon verwurzelt. Deswegen ist auch der Betrug mit fotografischen Bildern nichts Neues. Zahlreiche Stalin-Aufnahmen sind ebenso verfälscht worden wie die amerikanische Kriegsikone, das Pressebild „The Raising of the Flag on Iwo Jima“, das erst im nachhinein nachgestellt worden ist. Angesichts der neuen Technologien fällt die längst zweifelhafte Objektivität der Fotografie allerdings ganz dahin. Im Computer in endlose Reihen von binären Codes aufgedröselt, öffnet diese sich bereitwillig allen manipulativen Eingriffen. Eine digital eingelesene Fotografie aber ist weder wahr noch falsch, weder naturgetreu noch unnatürlich. Eingriffe in die „genetische“ Substanz von Fotografien hinterlassen - gut gemacht - kaum sichtbare und technisch nur schwer nachweisbare Spuren, dafür erzeugen sie eine neue, eigene Wirklichkeit, die nichts an fotografischer Brillanz einbüsst. Demzufolge ist das digital gemachte oder bearbeitete, bereinigte Bild autonom, selbstzweckhaft, identisch mit sich selbst: Kunst. Es stellt keine Referenz zwischen Abbild und Wirklichkeit mehr her, was über kurz oder lang das Ende der Fotografie als juristisches Beweismittel bedeuten wird. Daür bestätigt es den Verdacht, dass schon die traditionelle Fotoaufnahme nicht Wahrheit widerspiegelt, sondern wie die Malerei den Blick eines Subjekts wiedergegeben hat. Das fotografische Bild lügt, wo es ausgeschnitten ist. Das digitalisierte Bild aber lügt mitten im Zentrum. Im Brennpunkt, den die Medien auf ihrer Jagd nach Geschichten nur zu gerne mit wahrhaftigen Fälschungen besetzen. Kaum aus dem Kindbett aufgestanden, posiert Prinzessin Stéphanie von Monaco auf den Titelseiten der Regenbogenpresse mit dem Neugeborenen. Ein Vergleich freilich zeigt, dass es sich dabei um diverse Babies handelt. Was vor Jahren erst spezialisierten Fachkräften vorbehalten war, ist heute Wirklichkeit für alle geworden, zumindest für alle jene, die sich einen Computer mit einem leistungsfähigen Grafikprogramm leisten können. „Der Realismus ist seinem Wesen nach die demokratische Kunst“, lässt Courbet grüssen. In der digitalen Bildbearbeitung steckt eine ungeheure Potenz, sie entfesselt unseren Möglichkeitssinn. „Es ist die Wirklichkeit, die die Möglichkeiten weckt“, heisst es in Robert Musils Roman „Mann ohne Eigenschaften“, also die Fähigkeit, „das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.“ Im Computer triumphiert der Möglichkeits- über den Wirklichkeitssinn und die Fotografie entwischt mit ihm den strengen Geboten des Realismus. Gegensätze lassen sich versöhnen, Menschen neu ins Licht rücken oder futuristische Landschaften entwerfen. Ja, der Computer animiert nicht nur zum Experiment, sondern ermöglicht naturgetreue „Fotografien nach der Fotografie“ zu konstruieren und aus den Versatzstücken wirklicher Aufnahmen neue Bilder und Sichtweisen zu kreieren. Ohne Not haben wir uns beispielsweise längst an die Architekturmodelle gewöhnt, die der Anschaulichkeit wegen in Fotografien hineinmontiert werden, um einen Eindruck vom künftigen Stadtbild zu vermitteln. Die Phantasie erhält so eine Gestalt, die der äusseren Lebenswirklichkeit täuschend ähnlich sehen kann. Die brillant widerspiegelnde Oberfläche von Fotografien lädt zum eiligen Hin- und Überblicken ein. Ausnahmen bilden Aufnahmen, die, wie der Philosoph Roland Barthes (1915-80) schrieb, ein „punctum“ beinhalten: einen feinen Stachel, der den Blick innehalten lässt. Mit der digitalen Bildbearbeitung bietet sich nun die künstlerische Chance, dieses „punctum“ zu akzentuieren und, wie Gursky es versuchte, das Bild zum Erzählen zu bringen. Der Konjunktiv „was wäre wenn“ ist die Quelle für alles Erdenkliche, nicht nur in der Literatur. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Mit der digitalen Bearbeitung ist die Wirklichkeit selbst reproduzierbar geworden. Indes, lässt sich eine beliebig reproduzierbare Natur überhaupt manipulieren? „Hat man sich lange genug in so ein Bild vertieft, erkennt man, wie sehr auch hier die Gegensätze sich berühren: die exakteste Technik kann ihren Hervorbringungen einen magischen Wert geben, wie für uns ihn ein gemaltes Bild nie mehr besitzen kann.“ Dies schrieb Walter Benjamin, gewiss kein unkritischer Freund von neuen Technologien, schon 1931 über die Fotografie. Im Museum eröffnet sich uns ein Raum, in dem wir uns geduldig auf diesen magischen Wert einlassen und dabei unsere Sinne schärfen können. Das Objekt der Betrachtung ist in diesem Kontext klar als handwerklich Gemachtes, als Kunst deklariert. Eine rote Blutlache im Wüstensand. Ein Beispiel nur für die alltägliche Nachbearbeitung von Bildern. Es braucht mitunter wenig, um die Wirkung eines Bildes zu verändern, zu verkehren. Befangen vom Wirklichkeitssinn glauben wir solchen fotografischen Tricks gewohnheitsmässig und lassen uns wider Willen zur „Täuschung“ verführen. Die hohe Abbildwirklichkeit fängt den Blick. Wie gesagt suchen wir im Vorüberrauschen der (optischen) Sinneseindrücke naiv und unwillkürlich nach Ordnungsmustern und Haltepunkten. Wir haben weder die Zeit noch die Geduld, jeden der „Bildbeweise“ einzeln auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen, zumal die flunkernde Künstlichkeit von manipulierten Aufnahmen selten auf Anhieb erkennbar ist. Diesbezüglich unterscheidet sich das Bilderlesen von der Text-Lektüre. Im Gegensatz zum fotografischen Bild besteht die Sprache offenkundig aus einem abstrakten Code, den zu dekodieren uns zur Auseinandersetzung mit dem Text zwingt. Dabei helfen uns Rhetorik und Grammatik, nicht nur diesen Text, sondern vielleicht auch den Kontext zwischen den Zeilen zu verstehen. Zweifelsfrei funktioniert dies natürlich nicht immer, wie Kaufverträge, Gerüchte oder wissenschaftliche Abhandlungen mannigfach belegen. Dennoch verhalten wir uns der vernünftigen Sprache gegenüber kritischer als gegenüber dem unmittelbar, emotional zugänglichen Bild, bei dem Hilfsmittel wie Bildrhetorik oder Bildgrammatik fehlen, um die suggestive Wirkung abzuschwächen und hinter die „Lüge“ zu blenden. Erst recht wird dies bei digitalen Fotografien spürbar. Ich habe es mit eigenen Augen abgebildet gesehen, beweist gar nichts mehr - allein wir möchten dem Bild glauben schenken. Das grundlegende Dilemma, das die Digitalisierung der Fotografie offenlegt, besteht darin, dass wir für objektiv, wahr, Wirklichkeit nehmen, was im Grunde subjektiv, künstlich, Kunst ist. Eine solche Einsicht schliesslich könnte dazu anregen, so etwas wie eine Bildgrammatik zu entwickeln. Analog zu den sprachlichen Elementen wie Syntax, Phonetik, Wortschatz oder Tempus würde eine solche dazu ermächtigen, Bilder mit Hilfe von Elementen wie Struktur, optischen Grundformen, abgebildeten Sujets oder zeitlogischem Zusammenhang zu lesen. Obschon Versuche in dieser Richtung unternommen worden sind - Christian Doelker beschreibt sie im Buch „Ein Bild ist mehr als ein Bild“ (1997) -, ist es bis dahin noch ein schwieriger Weg. Beat Mazenauer, erschienen in: Die Weltwoche, 11.2.99. |
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