„Ein Herr wünscht Sie zu sprechen“, meldete die Sekretärin.
Ich las auf der Besuchskarte: Tobias Hull, B.A. – Keine Vorstellung.
Auf meinen fragenden Blick: „Ein Herr in den besten Jahren, elegant.“
Der Herr tritt ein und setzt sich. „Erschrecken Sie nicht,
weil ich eine Art Automat bin, eine Maschine in Menschenform,
ein Ersatz sozusagen. Mr. Tobias Hull existiert wirklich.
Der Chef einer großen Fabrik zur Herstellung von mechanischen Doppelgängern.
Ich bin, wie sagt man, seine Projektion, ja, Agent in Propaganda.
Ich kann Ihnen natürlich meinen Mechanismus im einzelnen nicht erklären –
Sie verstehen: Fabrikationsgeheimnis! Aber wenn Sie daran denken,
daß die meisten Menschen heutzutage ganz schablonenmäßig leben,
handeln und denken, dann werden Sie sofort begreifen, worauf sich unsere
Theorie gründet! Herz und Verstand werden bei uns ausgeschaltet.
Sie sind es ja, die im Leben so oft die störenden Komplikationen hervorrufen.
Bei uns ersetzt die Routine alles. Sehr einleuchtend, nicht wahr?“
Ich nickte verstört. „Oh! Mein Inneres ist ein System elektrischer Ströme,
automatischer Hebel, großartig! Eine Antennenkonstruktion, die auf die feinsten
Schwingungen reagiert. Sie läßt mich alle Funktionen eines menschlichen Wesens
verrichten, ja, in gewisser Weise noch darüber hinaus. Sie sehen selbst,
wie gut ich funktioniere.
“ Zweifelnd, mißtrauisch betrachte ich das seltsame Geschöpf.
„Unmöglich!“ sage ich. „Ein Taschenspielertrick. Sehr apart. Indessen –
“ „Oh! Ich kann mich in sieben Sprachen verständigen. Wenn ich zum Beispiel
den obersten Knopf meiner Weste drehe, so spreche ich fließend englisch,
und wenn ich den nächsten Knopf berühre, so spreche ich fließend französisch,
und wenn ich– „
„Das ist wirklich erstaunlich!“ „Oh! In gewisser Weise; vor allem aber angenehm.
Wünschen Sie ein Gespräch über das Wetter, über Film, über Sport? Über Politik
oder abstrakte Malerei? Fast alle Themen und Vokabeln des modernen Menschen
sind in mir vorrätig. Auch eine Spule von Gemeinplätzen läßt sich abrollen.
Alles sinnreich, komfortabel und praktisch. Wie angenehm wird es für Sie sein,
wenn Sie sich erst einen mechanischen Doppelgänger von sich halten –
oder besser, wenn Sie gleich zwei Exemplare von sich zur Verfügung haben.
Sie könnten gleichzeitig verschiedene Dienstreisen unternehmen, an mehreren
Tagungen teilnehmen, überall gesehen werden und selber obendrein ruhig
zu Hause sitzen. Sie haben einen Stellvertreter Ihres Ich, der Ihre Geschäfte
wahrscheinlich besser erledigt als Sie selbst. Sie werden das Doppelte verdienen
und können Ihre eigene Person vor vielen Überflüssigkeiten des Lebens bewahren.
Ihr Wesen ist vervielfältigt. Sie können sogar sterben, ohne daß die Welt etwas
davon merkt. Er macht weitere Ausführungen und schließt dann:
„Berühmte Rennfahrer und Wettläufer halten sich schon Doppelgänger-Automaten,
die ihre Rekorde ständig steigern.“ „Phantastisch! Man weiß bald nicht mehr,
ob man einen Menschen oder einen Automaten vor sich hat.
“ Darf ich also ein Duplikat von Ihnen herstellen lassen?
Sie sind nicht besonders kompliziert zusammengesetzt, das ist günstig.
Das hineingesteckte Kapital wird sich bestimmt rentieren.
Morgen wird ein Herr kommen und Maß nehmen.“
„Die Probe Ihrer Existenz war in der Tat verblüffend, jedoch –
“ Mir fehlten die Worte und ich tat so, als ob ich überlegte.
„Jedoch, sagen Sie nur noch: Der Herr, der morgen kommen soll,
ist das nun ein Automat oder ein richtiger Mensch?“
„Ich nehme an, noch ein richtiger Mensch. Aber es bliebe sich gleich. Guten Tag.“
Hermann Kasack 1896 - 1966, Mechanischer Doppelgänger, Reclam 1959.
Deutsche Erstveröffentlichung unter dem Titel:
"Der Automat", in "Die Aktion", 1916.
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