... , da sind sich die Forscher einig, hat sehr viel mit naturwissenschaftlich
erklärbaren Phänomen zu tun - mit Dingen die man messen und analysieren kann.
Wie die Erforschung von Nervenprozessen, die zeigen, welche Struktur für die
menschliche Erkenntnis über sich selbst notwendig ist. Doch Bewusstsein hat
ebenso viel mit den Dingen zu tun, die sich jeder messbaren Erklärung entziehen.
Bewusstsein besteht elementar aus Gefühlen, Emotionen und dem sinnlichen
Erleben - und genau dies unterscheidet den Menschen von der Maschine.
Was von den Augen zu den Sehzentren in der Großhirnrinde gelangt,
wird also vom Gehirn "zerlegt" und so bewusst erkannt. Ist "Bewusstsein"
also ganz einfach? Ist es das Ergebnis einer klaren Aufgabenteilung im Gehirn,
vom Arbeiten im Rhythmus, dem Bilden einer Einheit?
Ist Gleichtakt ein Indiz für Bewusstsein?
Doch so einfach ist es nicht. Es gibt Menschen, die bewusst nichts sehen
und doch reagieren - Blindsehen nennen das die Forscher.
Die Augen sind völlig intakt, doch der Schaden liegt im Gehirn.
Die Patienten beteuern, nichts zu sehen und raten Bilder doch fast immer richtig.
Sie verlassen sich auf ihre unbewusste Wahrnehmung - auf etwas jenseits
messbarer Nervenimpulse.
http://www.3sat.de/nano/bstuecke/25092/
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Die (selbst)kritischeren Hirnforscher haben längst gemerkt, dass sie mit allzu
starrem Blick auf Strukturen und Moleküle leicht Wesentliches übersehen.
Von einem notwendigen »Perspektivenwechsel« spricht der führende deutsche
Hirnforscher, Wolf Singer, der im neu gegründeten Frankfurt Institute for
Advanced Studies den Geheimnissen des Gehirns mit interdisziplinärer
Systemforschung näher kommen will. Denselben Weg, wenn auch aus einer
anderen Richtung kommend, schlagen der Altersforscher Paul B. Baltes und
der Neuropsychologe Frank Rösler ein. Sie sind überzeugt, dass sich Biologie
und Kultur nicht nur beeinflussen, sondern sogar gegenseitig erst erschaffen.
Ergo muss, wer das Denkorgan verstehen will, auch dessen soziales Umfeld
betrachten. »Das Gehirn selbst ist eine Konstruktion von biologischer
Prädisposition und kultureller Wirklichkeit«, lautet ihre Prämisse,
die sie in den sperrigen Begriff des »biokulturellen Ko-Konstruktivismus«
gekleidet haben. ...
... Dass intensives Musizieren tatsächlich zu neurobiologischen Veränderungen
führt, zeigen mittlerweile mehrere Dutzend Forschungsarbeiten.
Das Hörzentrum von Profimusikern reagiert sensibler auf minimalste
Tonhöhenschwankungen und Akkord-Unreinheiten – ohne dass dies bewusst
wahrgenommen wird. Bei Pianisten, die in schwierigen Stücken
(etwa in den Paganini-Etüden von Franz Liszt) bis zu 1800 Noten pro Minute
koordinieren müssen, vergrößert sich jener Teil der Großhirnrinde,
der den Tastsinn der Finger repräsentiert. Auch bei Streichern ist dieser
»somatosensorische Cortex« stärker ausgeprägt – allerdings nur für die linke,
die Greifhand. Die Rechte, die den Bogen führt, ist im Hirn von Profimusikern
und Amateuren gleich abgebildet. ...
... Auch der Warnhinweis »Vorsicht, Taxifahren verändert Ihr Gehirn«
ließe sich rechtfertigen. Das jahrelange Einprägen von Fahrtrouten,
Einbahnstraßen und Sehenswürdigkeiten lässt den hinteren Teil des Hippocampus
schwellen, wie die Londoner Neurologin Eleanor Maguire nachwies.
Dieser Bereich ist zuständig für das räumliche Gedächtnis. Kein Wunder,
dass er umso größer ist, je mehr Berufserfahrung ein Taxifahrer hat.
Dafür verliert der vordere Teil des Hippocampus an Volumen,
sodass sich die Gesamtgröße des Gehirns nicht verändert.
Versteht man solche Erkenntnisse nicht nur als Kuriosität, belegen sie,
wie jede Tätigkeit zur biologischen Anpassung des Denkorgans führt.
Das bleibt nicht ohne Folgen für die jeweilige Weltsicht:
Während der geistige Kosmos eines Taxifahrers mehr aus räumlichen
Verknüpfungen und Orientierungspunkten besteht, nimmt eine Musikerin
die Welt eher als Fülle von Klängen und Rhythmen wahr; für traumatisierte
Kriegsopfer wird sie zur Quelle ständig neuer Schrecken. Und dies gilt,
wohlgemerkt, nicht im übertragenen, sondern im neurophysiologisch
nachprüfbaren Sinne.
Der eigentliche Witz dieses Mechanismus – und das ist es, worauf Rösler
und Baltes mit ihrem »biokulturellen Ko-Konstruktivismus« hinauswollen –
ist jedoch, dass die Wechselwirkung unendlich reziprok ist:
Wer Musik besser wahrnimmt, weil er viel Musik gehört hat,
macht auch bessere Musik. Wer Terror erfährt, neigt hirnphysiologisch zum Terror.
Wie weit die gegenseitige Beeinflussung von Hirn und Umwelt gehen kann,
ist noch offen. Doch versteht man menschliches Verhalten und Denken auf diese
Weise, bleibt kein Raum mehr für einen Streit zwischen Natur- und
Kulturwissenschaft. Vielmehr erweisen sich beide Disziplinen als Verbündete
in einem gewaltigen Forschungsprojekt, dessen Konturen erst zu erahnen sind.
Ulrich Schnabel, "Knetmasse der Kultur", DIE ZEIT 10.02.2005 Nr.7
http://www.zeit.de/2005/07/Kultur_2fGeist
Imagine all the people living "live" in peace:
http://www.netzfit.de/portfolio/blog/art_126_start.htm
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