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"Medienethik"
   
         
22.03.05 - 12:03:45
   
       
   
         
monetary system • Michael Wagner
   
       
   
             
          monetary system    



... Hinter den Regulativen gleicher Kommunikationschancen und
gegenseitiger Anerkennung stehen die allgemeinen Grundnormen der
Gerechtigkeit und der Verantwortung. Zwar lassen sich solche aus der
interpersonalen Kommunikation gewonnenen Normen nicht bruchlos auf andere
Kommunikationsformen übertragen, sie können aber als erste Orientierung
dienen. Gleichzeitig kann man sich, sobald es um öffentliche Kommunikation
geht, auf die Normen der Öffentlichkeit (die ja ihrerseits selbst aus den obigen
Regulativen gewonnen werden können) beziehen.
-
1. Im Handlungsbereich der privaten Online-Kommunikation ist der Bezug
auf diese Grundnormen noch sehr deutlich, denkt man etwa an die vielen
Versionen der "Netiquette", der "Chat-Policies"und der sogenannten
"Help-Manners". Anerkennung anderer, Chancengerechtigkeit der
Kommunikation und Reziprozität sind in Diskussionsforen und -listen
wie auch in der Auseinandersetzung um Inhalte ebenso oft Gegenstand
wie Grundlage der Kommunikation. Hier wird vor allem deutlich,
daß auch in der technisch vermittelten Kommunikation moralische Regeln der
Interaktion unverzichtbar sind und sich mehr oder weniger naturwüchsig
herausbilden. Dies heißt nicht, daß damit der zwischenmenschliche Umgang
im Internet bereits moralisch geregelt ist. Die Bildung solcher Normen ist ja
meist eine Antwort auf ungelöste Konflikte, nicht Ausdruck von bereits
gelösten Problemen.

2. Ähnlich sieht es im Handlungsbereich wissenschaftlicher Kommunikation
aus, denn in den akademischen Foren der Diskussion und des Wissens-
und Informationsaustausches sind Nachprüfbarkeit und Glaubwürdigkeit
ebenso zentrale Normen wie Achtung und Autorschaft. Diese lassen sich
ihrerseits mit bereits existierenden wissenschaftlichen Ethikcodizes und
ihren Sanktionsformen in Verbindung bringen. Anders ausgedrückt:
Das symbolische Kapital der Wissenschaft ist die Reputation der einzelnen
Akademiker. Allein schon aus diesem Grund ist es (in der Regel)
den in diesem Bereich Tätigen darum zu tun, wahre und richtige Beiträge zu
veröffentlichen ­ was auch hier nicht bedeutet, daß es keine schwarzen
Schafe gäbe. Allein, die immer wieder zu findende Tendenz,
wissenschaftliche Forschungen zu (ver-)fälschen ist keine internetspezifische
Problematik, auch wenn die Computertechnik solchen Fälschungen
sicher potentiell Vorschub leistet.

3. Im Handlungsbereich wirtschaftlicher Kommunikation ist Vertrauensbildung
eine notwendige Bedingung für das Gelingen der über das Internet
abwickelbaren Kaufhandlungen. Insofern werden Datengewinnung
(Nutzerprofile) und Werbung kontraproduktiv, sobald sie zu tief in die
Privatsphäre der Kunden eingreifen (Spamming-Problem!). Tiefer liegt aber
der Konflikt zwischen Profitmaximierung und Verteilungsgerechtigkeit,
der im im Netz ebenso ungelöst bleibt wie in der netzexternen Wirklichkeit,
in der Unternehmens- und Wirtschaftsethik oft nur als Techniken
der Imagepflege verstanden werden. In der Zukunft könnte das Internet
also vermehrt ökonomische Zugangsschranken (Premium-Dienste) aufweisen
und auf eine auf rein kommerzielle Interessen zugeschnittene "Belieferung"
mit Informationen und Warenangeboten umstellen. Das Nachsehen hätten
die Nutzer, die mit dem Internet nicht bloß ein weiteres Konsummedium
(im doppelten Sinne) haben wollen. Verantwortung und Gerechtigkeit müßten
gerade hier immer wieder durch eine kritische Öffentlichkeit innerhalb und
außerhalb des Netzes eingeklagt werden.

4. Der Handlungsbereich der Massenkommunikation ist auch im Internet
ein "heißes" Feld. Die Qualität der Online-Informationsdienste ist fraglich,
das Internet gilt als große Gerüchteküche (siehe Clinton/Lewinsky-Fall).
Inzwischen gibt es aber auch Online-Dienste, die durch ihre Netzpraxis
Glaubwürdigkeit erworben haben (z.B. Telepolis). Das bedeutet,
daß Maximen der journalistischen Ethik,
wie Wahrheits- und Kritikorientierung,
verantwortliche Informationsgewinnung und
-verarbeitung sowie Achtung der Privatsphäre,
im Internet nicht weniger angelegt werden können als außerhalb des Netzes.
Aber auch hier ist eine wirtschaftlich motivierte Entwicklung zu Push-Diensten,
die den aktiven Nutzer zum passiven Empfänger machen, nicht
unwahrscheinlich. Hier ist aber auch das Feld, wo eine (bislang eher passive)
Publikumsverantwortung sich zu einer aktiven Benutzerverantwortung
wandeln könnte. Wie sehr sich "klassische" Massenmedien mit Push Diensten
etablieren werden, hängt letztlich auch von Zugriffsraten, Gegenangeboten
und Qualitätsbewußtsein der Benutzer ab.

Resümee: Trotz Wertepluralismus können und sollen die kommunikativen
Grundnormen der Gerechtigkeit und der Verantwortung auch auf das Internet
bezogen werden. Das Internet stellt uns zwar vor vielfältige, ungewohnte
und oft erst einmal ratlos machende moralische Konfliktlagen.
Gleichzeitig eröffnet das Internet aber auch neue Chancen als multimediale
und partizipatorische Erweiterung der diskursiven Öffentlichkeit,
als interaktives Kommunikationsmedium zur Ausbildung von elektronischen
Gemeinschaften und als hypertextuelles Informationsmedium für den Zugriff
auf Daten, Informationen, Nachrichten und Medienangebote.

Eine (noch zu formulierende) Medienethik des Internets hätte vom (selbst-)
verantwortlichen Umgang in und mit der Online-Kommunikation aus zu gehen
dies sowohl im Blick auf individuelles wie auch organisationelles Handeln in
Systemstrukturen. Sie steht dabei allerdings vor der schwierigen Aufgabe,
zum einen sich auf ein technisch und sozial höchst komplexes Medium
zu beziehen (Stichwort "Hybridmedium"), zum anderen völlig neuartige
Organisationsstrukturen und hochkomplexe Kommunikationsprozesse
berücksichtigen zu müssen.
(Stichworte: "Globalisierung", "Informationsgesellschaft")

Zu bedenken ist schließlich auch, daß Ethik nur helfen kann, Geltungsgründe
zu generieren, um die moralischen Probleme des Internet zu reflektieren und
zu bewerten. Geregelt und entschieden werden müssen Konflikte und strittige
Handlungsnormen durch netzinterne und -externe Auseinandersetzungen.
Am praktischen öffentlichen Diskurs führt auch im Netz kein Weg vorbei:
das Internet ist so (un-)moralisch wie die Gesellschaft.


PD Dr. Bernhard Debatin, medien praktisch, 01/1999.

http://www.medienpraktisch.de/amedienp/mp1-99/1-99deb.htm

https://de.wikipedia.org/wiki/Medienethik





         
 
               
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